Brauchtum

Ostereier schwirren durch die Luft

Vom Brauch des Eierlesens im St.Galler Rheintal

 

Schon in vorchristlicher Zeit war das Ei als Symbol der Fruchtbarkeit bekannt. Damit spielte es eine sehr bedeutsame Rolle in den Riten des Volkes und prägte wertvolles Brauchtum mit.

In verschiedenen ländlichen Gegenden hat sich der Brauch des Eierlesens (Eierwerfen, Eierlaufen) in vielen Formen erhalten können, so in Süddeutschland, in gewissen Teilen Frankreichs und der Schweiz. Die früheste geschichtliche Erwähnung des schweizerischen Eierlesens stammt aus dem Jahr 1556. Zwischen Boden- und Walensee allerdings ist der Brauch nur noch in Oberriet SG bekannt, früher auch in Rüthi, Sennwald, Salez und Frümsen.

Herkunft liegt im Dunkeln

 

Die Volkskundeforscher konnten trotz eifrigen Studiums der Quellen das Geheimnis um das Eierlaufen und -lesen nicht endgültig lüften. Sicher ist, dass einige Wurzeln im Altgermanischen haften. Die Bedeutung des Eies, als Ursprung allen Lebens, bildet jedoch Grundgehalt des Anlasses. Dieser typische Osterbrauch soll zum Ausdruck bringen, wie das von der Sonne und den Gestirnen angeregte Leben seine Auferstehung feiert. Der nahende Frühling mit der neu beginnenden Vegetation entmachtet den Winter endgültig und bringt die Rückkehr des Lichtes und  die Fruchtbarkeit für Feld und Hof. Symbolisch dargestellt sind die beiden Kontrahenten als grüne und als dürre Geister, die sich zum Schluss in einem grossen Finale gegenübertreten und mit Herzblut um die neue Jahreszeit kämpfen.

Höhepunkt des mystischen Zeremoniells – ein Zweikampf zwischen Winter und Frühling

Publikumsträchtige Brauchtums Show

 

In Oberriet ist das Eierlesen 1971 nach über 60 jährigem Unterbruch wieder aktiviert worden. Der Anlass wird alle fünf Jahre durchgeführt, denn der Aufwand ist gross, verlangt grosse persönliche Initiative und soll nicht zur Alltäglicheit werden. Schon Wochen und Monate vor dem Festanlass machen sich Buben und Mädchen auf die Suche nach leeren Schneckenhäusern, alten Jasskarten, Tannzapfen, Hobelspänen, Maisblättern, Stechlaub, Wurzeln und vielen anderen Dingen, die für die Kostüme benötigt werden.

Mit diesem Material werden dann die Gewänder und Masken hergestellt: da Törggarappa, da Schneggahüsler, da Jasskärtler, da Wild Maa, da Fäzli, usw. An die 50 kostümierte Gestalten wirken jeweils mit bei diesem Osterbrauch und ergeben eine imponierende Maskenschar, die in einem bunten Umzug durchs Dorf zieht und grosse Faszination ausstrahlt.

Fliegende Eier und Lachsalven

 

Das eigentliche Eierlesen wird jeweils auf der grossen Schulwiese durchgeführt. Die kräftigsten Turner des Dorfes stellen sich in zwei Gruppen auf: die einen werfen die hartgekochten Eier, die anderen müssen sie mit einem über einen Reif gestülpten Tuch auffangen. Ab und zu verfehlt natürlich, bei sonst grosser Treffsicherheit, ein Ei das Ziel und zerspringt an einem der harten Rheintaler Köpfe. Dies zum grossen Gelächter der immer sehr zahlreichen Zuschauer, und zur Freude der Kinder, welche die Eier lieber an Ort und Stelle essen.

So gehört zum Eierlesen auch die Eierstafette. Dabei treten zwei Gruppen an. Während die eine die Eier auslegt, muss die andere diese wiederum einsammeln und in einen Korb tragen oder werfen, ohne dass sie zerbrechen. Die Eier werden auf Sägemehlhäufchen ausgelegt, und der “Leser” muss sie einsammeln, bis der “Läufer” der Gegenpartei eine bestimmte Wegstrecke zurückgelegt hat. Die unterlegene Partei musste früher einen Trunk stiften. Heute jedoch reichen die Bändeljungfern den strammen Eierwerfern ein Glas Wein zur Stärkung. Während des Weintrunks führen die Kinder ebenfalls eine Stafette durch. Über die Langbank und zwischen Malstäben hindurch gilt es, ein Ei auf einem Suppenlöffel sicher zum Wendepunkt zu bringen. Bei diesem Programmteil ist am deutlichsten sichtbar, dass in der neueren Zeit das urtümliche Eierlesen mit Wettbewerben bereichert wurde, was den Anlass für die Zuschauer attraktiver macht.

Ein Duell auf Leben und Tod

 

Die Kernhandlung des Eierlesens ist der Kampf zwischen Frühling und Winter, das Ringen um den Einzug der Fruchtbarkeit, welcher zum grossen Finale nochmals alle Akteure auf den Plan ruft. Es beginnt ein wildes Hin- und Herwogen, wie es sich auch in der Natur immer wieder zeigt. Der Gewinner dieses Kampfes ist jedoch gegeben: der Wilde Mann, die wohl mächtigste Gestalt auf dem Feld, führt die Grünen schliesslich zum Sieg über die Dürren. Der Frühling kann nun ungehindert Einzug halten.

Hier gehts zu den Bildern